Ausschnitt (CD Laden)

«Das Geschäft hatte die Atmosphäre eines modernen Krankenhauses. Die CD-Auswahl war allerdings riesig und in ziemlich viele Genres aufgeteilt: Klassik, Volksmusik, Worldmusic, Rock, Pop, Alternative, Heavy Metal, Punk, R’n’B, Hip Hop, Techno/House, Schlager und deutsche Schlager. Und mitten in diesem Deutsche-Schlager-Regal war eine Plexiglasplatte mit der Aufschrift «Die Sterne» und dahinter deren vier Alben. Priester rief Torben herbei, der mit dem Alternative-Regal beschäftigt war.

«Torben, das musst du sehen!»

Torben kam rüber.

«Oh, das ist aber ein sehr, sehr gut sortierter Plattenladen.»

Priester dachte, man muss sich auch mal einmischen, und ging zur Ladentheke, hinter der eine sehr junge Frau stand. Er nahm an, dass sie noch in Ausbildung war. Als er an der Theke angekommen war, sagte sie den Satz, den man ihr beigebracht hatte:

«Kann ich Ihnen behilflich sein?»

«Ich habe eine kleine Kritik vorzubringen.»

«Ja, welche denn?»

Man sah ihr an, dass es ihr zu viel wurde. Sie war darauf gefasst, dass jemand etwas kaufte, aber dass jemand sich beschwerte, war ihr ungeheuer. Sie schielte schon nach dem Chef oder der Chefin, aber niemand war in Sicht. Priester wurde jetzt konkret.

«Die Sterne sind im Schlagerregal.»

Da hellte sich ihr Gesicht wieder auf, sie glaubte, wieder festen Boden unter den Füssen zu haben. Sie schien zu wissen, um welche CDs es sich handelte. Mit fester Stimme entgegnete sie:

«Ja, die habe sogar ich dort eingeordnet. Das ist schon richtig, denn das ist nicht das Schlager-Regal, sondern das Deutsche-Schlager-Regal.»

Nun schaute sie ihn an, als hätte sie soeben ihre Abschlussprüfung mit einer Eins bestanden. Priester brachte es nicht übers Herz, ihr den Triumph zu nehmen. Er zuckte mit den Schultern, sagte vielen Dank und folgte Torben, der den Laden gerade verliess.»

Ausschnitt (Bowling)

«In der Bowlinghalle war es sehr dunkel. Ein Grossteil der Beleuchtung war Schwarzlicht und überall waren Planeten und Raumschiffe in Neonfarben aufgemalt. Die Halle hatte vier Bahnen, wovon eine noch frei war. Ein Mann, der aussah wie die Frau an der Kasse, nur als Mann verkleidet, brachte sie zu ihrer Bahn und startete die Maschine, welche die Punkte zählte. Auf den anderen drei Bahnen waren Leute, die das Bowlen ziemlich ernst zu nehmen schienen. Diese hatten alle eigene Schuhe und rechts eine seltsame Handgelenkstütze. Strauss hatte plötzlich seine Videokamera in der Hand und wollte Elvis beim Bowlen filmen. Elvis, der schon eine Kugel in der Hand hielt, wurde furchtbar wütend.

«Hör mit deiner Scheiss-Filmerei auf oder ich hau dir die Kugel auf den Kopf.»

Das war so unmissverständlich, dass Strauss seine Kamera auf eine Bank legte. Die anderen Leute beobachteten sie skeptisch. Strauss, der jetzt nicht mehr filmen durfte, wollte unbedingt als Erster eine Kugel schieben.

«Ja, ja, spiel du als Erster», sagte Elvis und liess ihn vor.

Strauss griff eine Kugel, nahm Anlauf und holte aus wie ein Weltmeister. Doch als er die Kugel loslassen wollte, blieb sie ihm am Finger hängen und flog fast bis zur Hallendecke hinauf, dann krachte sie von dort mit Getöse auf ihre Bahn und sprang auf die Nachbarbahn, wo gerade jemand eine Kugel losgerollt hatte. Die beiden Kugeln prallten zusammen, rollten nach vorne und warfen alle Kegel um. Der Mann sah zwar aus wie seine Frau, aber er hatte eine ganz andere Stimme.»

Ausschnitt (Gulaschsuppe)

«Olaf wollte noch wissen, wer der Vegetarier sei.

«Das bin ich», sagte Priester

«Ist das in Ordnung für dich, wenn du dir dein Essen in dem Restaurant auf der anderen Strassenseite holst, du suchst dir einfach was von der Karte aus. Die wissen Bescheid. Die anderen kriegen unsere legendäre Gulaschsuppe.»

Priester konnte sich ein leichtes schelmisches Grinsen nicht verkneifen, er hatte nämlich auf dem Herd im Backstage- Raum einen grossen alten Kochtopf gesehen, in dem eine seltsame bräunliche Brühe blubberte. Er hatte sich noch gefragt, ob da jemand das dreckige Spülwasser kochte und zählte jetzt eins und eins zusammen.»

Ausschnitt (Autobahn-Vignette)

« Die Abendsonne warf ein schönes Licht auf die Wälder, an denen sie vorbeifuhren, und Priester fragte, sich ob der Frühling schon im Anmarsch sei. «In drei, vier Stunden sollten wir zu Hause sein», informierte Elvis, der in die Strassenkarte vertieft war. Es klang nicht so, als würde er sich freuen. Priester nahm die Zeitangabe nicht allzu ernst. Mittlerweile hatte er kapiert, dass man sich darauf verlassen konnte, dass man sich auf nichts verlassen konnte. Strauss fuhr und rauchte. Priester konnte nicht mehr sagen, ob er sich an den Dieselgeruch gewöhnt hatte oder ob der abgenommen hatte. Da tauchte am Strassenrand ein Polizist mit einer Art Tennisschläger mit rotem Punkt darauf auf. Er machte Zeichen, offensichtlich wollte er, dass sie anhielten. Strauss hielt am Strassenrand und der Polizist kam ans Fenster.

«Guten Abend. Ich sehe, Sie haben keine Autobahn-Vignette.»

Elvis erkundigte sich, mit dem für ihn typischen respektlosen Ton:

«Warum sollten wir eine haben?»

«Weil Sie in Österreich sind.» »

Ausschnitt (Ötzi)

«Als Ötzi die Anlage dann einschaltete, gab es zwar einen ausgewachsenen Knall, aber so sehr sie auch in die Mikrofone schrien, es kam einfach nichts aus den Boxen. Ötzi fluchte, ging immer wieder allen Kabeln nach, die das Mischpult mit dem Verstärker und diesen mit den Boxen verbanden. Dabei murmelte er immer wieder wild Fachbegriffe durcheinander:

«Symmetrisch. XLR. Mono. Symmetrisch. Out. Return. XLR. Stereo.»

Nachdem er eine ganze Weile wie ein Eichhörnchen, das seine vergrabenen Nüsse nicht finden kann, im Raum rumgeirrt war, drückte er am Verstärker einen Knopf, und es gab einen Rückkopplungspfiff, dass einem die Ohren wegflogen. Ötzi riss die Regler am Mischpult runter, aber es hörte nicht auf. Marco eilte herein, mit den Händen auf den Ohren, und schaute verzweifelt zu Ötzi. Dieser riss jetzt den Stromstecker der Anlage aus der Wand, es gab erneut einen lauten Knall, und dann war es dennoch nicht still, denn die Musikanlage war zwar verstummt, doch in Priesters Ohren pfiff es weiter.»

Ausschnitt (Polizeiknüppel)

«Als Polizeiknüppel zu spielen begannen, war der Raum mehr als gefüllt. Priester wunderte sich, dass es in dieser Gegend so viele junge Punks gab. Alle Lieder von Polizeiknüppel waren extrem schnell, hart und laut. Der Sänger schrie irgendwelche Parolen gegen die Polizei, den Staat oder den Polizeistaat. Schnell war im Pillenhaus der Teufel los. Die Punks betrieben eine Mischung aus Tanz und Schlägerei. Einige sprangen immer wieder von der Bühne auf die anderen. Zwischen all den Punks, die alle irgendwie gleich aussahen, fiel Priester ein Typ auf, der sich wohl in der Tür geirrt hatte. Er trug weisse Pluder-Klamotten, eine John-Lennon-Brille und Rastas. Obwohl die Musik von Polizeiknüppel wie Maschinengewehrsalven mit unablässigem Donnerschlag klang, führte er unbeirrt seine Schamanentänze auf. Priester dachte, dass der Mann vielleicht taub war. Das Konzert schien Priester endlos. Polizeiknüppel spielten mehr Zugaben als reguläre Songs. Er konnte beim besten Willen nicht sagen, wie oft sie die gleichen Lieder spielten, oder ob sie überhaupt verschiedene Lieder hatten. Plötzlich stand Micha neben ihm.

«Geniale Band, nicht?»

Priester schaute forschend in Michas Gesicht, er suchte dort nach einem Lächeln oder Augenzwinkern. Er hoffte, dass dieser einen Witz gemacht hatte. Micha schaute ihn aber mit strahlenden Augen an. Priester entschied sich dann für die elegante Variante und sagte:

«Brachial!»

«Genau, kompromisslos brachial.»

«Geradeaus!»

«Vollgas!»

«Voll in die Fresse!»

Dann trottete Micha zufrieden davon.»